FANTASIE | SONATE
Wir freuen uns, Ihnen unsere CD mit 6 Welt-Ersteinspielungen zu präsentieren. Die CD erhält Werke von Wagner, Olbersleben, Boulanger, Masson, Duvernoy und Moreau. Nie vorher eingespielte Trouvaillen aus dem „fin de siècle“ und der deutschen Romantik.
Es begann mit einer echten Trouvaille
Im bekannten Basler Antiquariat Schlöhlein stieß Miriam Terragni auf eine bisher kaum beachtete große romantische Flötensonate, ein Genre, mit dem Solisten dieses Instrumentes nicht gerade reichlich gesegnet sind. Sie stammt von Max Meyer-Olbersleben, von dem man heute wenig mehr weiß, als dass er bei Franz Liszt in Weimar studierte und später Professor für Kontrapunkt und Komposition am Bayerischen Staatskonservatorium der Musik in Würzburg sowie Hof-Kapellmeister des dortigen Bischofs war. Seine Fantasie-Sonate aus dem Jahr 1883 sei, obwohl sie schon in mehreren Druckauflagen erschienen ist, völlig zu Unrecht fast vergessen, meint Terragni, und so bildete sie den Ausgangspunkt für ein (spät)romantisches deutsch-französisches Programm, das sie gemeinsam mit ihrer Klavierpartnerin Catherine Sarasin entwickelt hat.
Formal orientiert sich Meyer-Olbersleben an der klassischen dreisätzigen Sonate, die zahlreichen Spielanweisungen zeigen aber, dass er hochromantische Ausdrucksintensität erreichen wollte: Im ersten Satz, „lebhaft“ überschrieben, finden sich Notizen wie „mit aller Kraft“, der Solist hat Gelegenheit, mit Virtuosität und Tonvolumen zu brillieren. Der zweite Satz, Ständchen, beginnt „in gehender Bewegung“, danach folgt ein etwas mehr vorwärts drängender Teil („ziemlich bewegt“). Der dritte Satz Bacchanale beginnt mit dem Zusatz „ziemlich rasch und wild“, wechselt zu „sehr leicht“ und mündet nach einem sehr virtuosen Teil zunächst in einer kleinen, eher ruhigen Coda, bevor er in einem furiosen Schluss „immer schneller“ endet. Einen ähnlich brillant-virtuosen Tonfall wie in diesem Schlusssatz schlägt Meyer-Olbersleben in seiner 1879 entstandenen Ballade an, die seinem Kompositionslehrer Liszt gewidmet ist – auch hier verlangt er der Solistin einiges ab, in diesem Fall allerdings der Pianistin allein.
Mit Meyer-Olbersleben teilt August Wilhelmj das Schicksal des heute eher geringen Bekanntheitsgrades; zu seiner Zeit aber war das ganz anders: Als Violinvirtuose und -lehrer war er weltberühmt, zahlreiche Konzerttourneen führten ihn in die bedeutenden Musikmetropolen. Wilhelmj war begeisterter Wagner-Fan; und immerhin schätzte der Meister selbst ihn ebenfalls so, dass er ihn als Konzertmeister ans Bayreuther Festspielhaus berief und mit der Zusammenstellung des dortigen Orchesters beauftragte. Für Wilhelmj war es, wie für viele Virtuosen seiner Zeit, gängige Praxis, Werke anderer Komponisten für sein Instrument zu bearbeiten. „In das Album der Fürstin Metternich“ WWV 94 ist der Originaltitel eines kurzen hochromantischen Klavierstücks, das der bewunderte Meister Richard Wagner 1861 schrieb, damit der Tradition der „Albumblätter“ folgend, die sich Künstler und Personen der gehobenen Gesellschaft gegenseitig widmeten. Wilhelmjs neu arrangierte Violinstimme hat Miriam Terragni hier auf die Flöte übertragen, ebenso wie die der von Wilhelmj selbst komponierten Ballade, die der Solistin Gelegenheit zu weit ausschweifenden Melodien gibt, in spätromantisch-üppiger Harmonik des Klaviersatzes begleitet.
Die Flöte spielte im französischen Repertoire schon vor Jahrzehnten eine bedeutendere Rolle als im deutschen; so lag es für die Solistinnen nahe, das Programm in diese Richtung zu erweitern. Wohl die bekannteste Komponistin dieser CD ist Lili Boulanger, die hochtalentierte Ausnahme-Künstlerin, die zeitlebens große gesundheitliche Probleme plagten und die 1918 im Alter von nur 25 Jahren starb. Dennoch erreichte sie in ihrem kurzen Leben einige Berühmtheit, besonders durch den Gewinn beim renommierten Kompositionswettbewerb Prix de Rome im Jahr 1913 als noch nicht ganz 20-Jährige. Das Manuskript zum von eigenwilliger Harmonik geprägten Pièce für Flöte und Klavier lag seit Jahren unbeachtet in der Bibliothèque nationale de France, bevor das Duo Terragni/Sarasin es dort entdeckte. Schon eher allgemein bekannt ist ihr Nocturne aus dem Jahr 1911, ein wie hingehauchtes Nachtstück.
Léon Moreaus Dans la forêt enchantée (Im Zauberwald) erklärt sein Programm durch den vorangestellten Text mehr als deutlich:
„La forêt repose dans sa majestueuse solitude…Un vol de Sylphes passe qui la remplit de lumière et de joie; mais un appel lointain retentit, la troupe légère disparaît et la forêt reprend son calme solennel.“
– frei etwa so zu übersetzen:
„Der Wald ruht in seiner majestätischen Einsamkeit… Eine Gruppe von Sylphen fliegt herbei und erfüllt ihn mit Licht und Freude; dann aber erklingt ein Ruf aus der Ferne, das flüchtige Ensemble verschwindet und der Wald versinkt wieder in seiner feierlichen Ruhe.”
Das etwa 11minütige Werk zeichnet diese Szenerie plastisch nach – die Soloflöte steigert sich von der anfänglichen Ruhe im tiefen Register zu flirrenden Höhenflügen, bevor diese Bewegung in der Ferne verschwindet und die Ruhe zurückkehrt. Wie Moreau verbrachte auch Louis Masson einen großen Teil seines Lebens in Paris und arrangierte Musik für frühe Filme; er dirigierte aber auch einige Jahre an der Opéra comique. Eines seiner wenigen Original-Kammermusikwerke ist die Valse Lente, die er für Philippe Gaubert, einen berühmten Flötisten seiner Zeit, komponiert hat. Über dem typischen Walzerrhythmus tritt die Flöte melodisch von Anfang an in den Vordergrund und lotet einen weiten Ambitus aus. Wie die Werke von Moreau und Masson fanden die beiden Solistinnen auch die Deux Morceaux op. 41,1 von Victor Alphonse Duvernoy in Musikantiquariaten der berühmten Pariser Rue de Rome – in aktuellen Verlagsausgaben sind sie nicht mehr zu finden. Duvernoy war vor allem als Klaviervirtuose und -pädagoge bekannt. In den beiden Stücken kommt folgerichtig dem Klavier nicht nur eine begleitende Funktion zu, es trägt vielmehr als gleichberechtigtes zweites Soloinstrument viel zur thematischen Entwicklung bei. Das gewichtige Lamento und das federleichte Intermezzo bilden dabei einen reizvollen Kontrast gegensätzlicher Ausdruckswelten – damit schließt sich der Kreis, denn auch diese beiden Werke bestätigen den Leitfaden für die Programmzusammenstellung, die Musikerinnen so formulieren: „Alle Stücke zeichnen sich durch eine fantasievolle, farbige und freie Kompositionsweise aus.“
Thomas Jakobi
Audio Ausschnitte
Rezensionen
Niklaus Rüegg (05.12.2017)
Bei Coviello Classics ist am 1. Dezember 2017 unter dem Titel «Fantasie | Sonate» ein hörenswertes Album für Flöte und Klavier erschienen. Für die Querflöte gibt es sehr wenig Literatur aus der Romantik, darum ist es äusserst verdienstvoll, dass sich die Soloflötistin des Aargauer Symphonie Orchesters «argovia philharmonic» Miriam Terragni zusammen mit ihrer Duopartnerin, der Pianistin Catherine Sarasin auf Entdeckungstour durch die Basler und Pariser Antiquariate gemacht hat. Die Ausbeute war sehr erfreulich: Allein sechs Stücke erleben auf dieser CD ihre weltweit erste Wiedergabe auf Tonträger – und es handelt sich dabei um echte Trouvaillen aus der deutschen (Spät-)Romantik und dem französischen Fin de Siècle. Den Anfang macht die Fantasie-Sonate in A-Dur op. 17 des Liszt-Schülers Max Meyer-Olbersleben (1850–1927). Obwohl schon mehrfach im Druck erschienen, ist diese grosse dreisätzige Sonate heute so gut wie vergessen. Eine echte Referenzaufnahme fehlte bisher. Diese Lücke darf jetzt als geschlossen gelten. Die beiden Solistinnen ziehen gleich zu Beginn alle Register und lassen ein subtiles, ausgewogenes Zusammenspiel hören. In der anspruchsvollen Ballade in gis-Moll op. 9 für Klavier desselben Komponisten vermag sich Catherine Sarasin als kompetente Solistin zu profilieren. Dem Violinvirtuosen und Konzertmeister von Wagners Gnaden am Bayreuther Festspielhaus August Wilhelmj verdanken wir die Violinstimme zu Richard Wagners kurzer Klavierromanze WWV 94, welche von Miriam Terragni wiederum auf die Flöte übertragen wurde. Von Wilhelmj selbst stammt die Ballade: Sie verbindet Anklänge an eine wagnerische Chromatik mit einer ausladenden spätromantischen Harmonik. Lili Boulangers Pièce erlebt eine träumerische Premiere, gefolgt von der besser bekannten, zart musizierten Nocturne. In Dans la forêt enchantée des Franzosen Léon Moreau (1870–1946) wird die Ruhe des Waldes und das Vorbeischwirren flirrender Sylphen (Luftgeister) plastisch dargestellt. In der Valse Lente variiert Louis Masson die gemächliche Melodie allmählich ganz filigran – mit Ohrwurmpotenzial. Deux Morceaux op. 41 von Victor Alphonse Duvernoy (1842–1907), aufgestöbert in der berühmten Pariser Rue de Rome, sind bei keinem Verlag mehr gelistet. Das Intermezzo, das dem bedeutungsschweren Lamento folgt, setzt mit seinem bezaubernd leichten Rhythmus den Schlusspunkt dieser rundum geglückten Aufnahme.
Sanna Hahn (30.05.2018)
Die Initialzündung für das deutsch-französische Romantik-Repertoire dieser CD war die Fantasie-Sonate vom Würzburger Komponisten Max Meyer-Olbersleben (1850-1927). Im Antiquariat stieß die schweizer Flötistin Miriam Terragni auf die dreitieilige Sonate, von deren Komponisten wir nur wenig wissen. Jenseits von Youtube existieren lediglich eine Einspielung vom Flötisten Michel Moragues und eine von Hans-Udo Heinzmann. Das hohe Maß an Virtuosität, die Meyer-Olbersleben der Flötistin hier abverlangt, ist wohl auch von dessen Lehrer Franz Liszt beeinflusst. Fast atemlos hinterlässt die modulationsreiche Sonate den Hörer. Dabei lässt sie dem Solisten nicht viel Freiraum zur Gestaltung, da der Komponist mit seinen epochentypischen bildhaften Bezeichnungen wie „In gehender Bewegung“ oder „Ziemlich rasch und wild“ seine Vorstellung des etwa 20-minütigen Aufstiegs zum Höhepunkt con fuoco recht genau bebildert. Dieselbe wechselhafte spätromantische Dramatik wird in Meyer-Olberslebens Ballade in gis-Moll für Klavier von der Pianistin Catherine Sarasin verlangt.
Das Duo Miriam Terragni und Catherine Sarasin veröffentlicht mit Fantasie – Sonate seine erste CD mit der seltenen Gattung Flötensonate, nachdem die beiden Musikerinnen 2010 für ihre erste CD selbst Opernparaphrasen übertragen hatten. Die tatsächlichen Fundstücke auf ihrer neuen CD sind jedoch die sechs Werke der wenig bekannten Komponisten, die hier zum ersten Mal aufgenommen wurden. Das Arrangement von Wagners Romanze nach dem Albumblatt WWV 94 und die Ballade stammen vom ebenso unbekannten Komponisten und Geiger August Wilhelmj (1845-1908). Liszt bezeichnete ihn einst als den zukünftigen Paganini. Seine Werke waren daher ursprünglich für Violine geschrieben und wurden für diese Einspielung von Miriam Terragni auf die Flöte übertragen.
Die zweite Hälfte der CD nimmt uns mit nach Frankreich, wo die Flöte schon lange mit einem umfassenden Repertoire gesegnet ist. Vielleicht musste auch wegen dieser Fülle an Werken das kleine Pièce von Lili Boulanger erst vom Duo aus der Bibliothèque nationale de France geborgen werden. Nach einem Spaziergang durch den Zauberwald mit Léon Moreau folgt mit Louis Massons Valse Lente der ruhige Gegenpol zum brisanten Auftakt der CD bevor sich die beiden Musikerinnen beschwingt mit Victor Alphonse Duvernoy verabschieden. Auch seine Deux Morceaux waren – passend zu den anderen Trouvaillen dieser CD – eine antiquarische Entdeckung. Nicht nur musikalisch, sondern auch musikwissenschaftlich muss dem Duo also Applaus gelten!